Gefahrgut ja oder nein?
Wie alles begann …
Vor fast 60 Jahren (Beschluss am 30.09.1957, in Kraft seit 29.01.1968) wurde das Europäische Übereinkommen über den internationalen Transport gefährlicher Güter auf der Straße (ADR) ins Leben gerufen. Seit dieser Zeit haben sowohl die europäischen als auch die internationalen Gefahrguttransportvorschriften einen absoluten Boom erlebt. Nicht ganz unbegründet –
der Schutz der mit Gefahrgut befaßten Personen, des menschlichen Lebens, der Tier- und Umwelt ist das wichtige Ziel, welches es zu erreichen gilt.
Gefahrgut Bestimmungen heute
Die Bestimmungen für den Transport gefährlicher Güter haben mittlerweile einen Umfang erreicht, der auch für Experten zeitweilig nicht leicht zu handhaben ist.
Immer wieder neue Erkenntnisse, Techniken, Fehlerkorrekturen, Klarstellungen bei Formulierungen, Verbesserungen führen dazu, dass wir ständig mit neuen Bestimmungen in den Gefahrguttransportvorschriften konfrontiert sind.
Wir freuen uns, wenn gefährliche Un- und Zwischenfälle vermieden und verhindert werden können.
Im Alltag ist es für den einzelnen und/oder das betroffene Unternehmen oft nicht möglich, den einfachen und sicheren Weg durch den Gefahrgutbestimmungsdschungel (neben allen anderen gesetzlichen Auflagen) zu finden.
Fallweise werden auch Stimmen laut, der Bereich Gefahrguttransport sei bereits überreguliert. Einige meinen, die hohen Anforderungen und Standards wären Geldmacherei an allen Ecken und Enden.
Nächste Änderungen in Sicht
Der Gesetzgeber und die befaßten Gremien werden uns auch in Zukunft mit umfangreichen Gefahrguttransportvorschriften und mit Änderungen zu diesen „beglücken“. Die nächste Änderungsrunde steht ab 01.01.2017 ins Haus.
Gefahrguttransportvorschriften müssen sein, weil der Schutz und die Sicherheit insbesondere für alle mit Gefahrgut Befaßten ist wichtig.
Schlüsselfrage und Lösung
Die Schlüsselfrage …
zum richtigen Umgang mit Gefahrgüter oder ungefährlichen Gütern im Sinne des Transportrechtes ist:
Habe ich gefährliche Güter im Unternehmen?
bzw. im Einzelfall:
Ist dieser Stoff, dieses Produkt oder Gerät, dieser Gegenstand Gefahrgut oder nicht?
Die Lösung:
Sorgfältige Überprüfung aller Bereich im Unternehnmen Identifizierung bzw. Klassifizierung möglicher Gefahrgüter mit System.
Ich behaupte, in fast jedem Unternehmen, in fast jeder Organisation und in fast allen Privathaushalten können wir gefährliche Güter finden – jede Spraydose (außer Pumpsprays), jedes Feuerzeug, jeder Schnaps, jedes Reinigungsmittel, Benzin, Diesel, Parfüms, Laptops, Handys etc. – alles Gefahrgut.
Gefahrzettel und Gefahren-Piktogramme
Hinweise auf Gefahrgüter und mögliche Gefahrgüter geben Gefahrzettel (siehe Foto) und chemikalienrechtliche Piktogramme auf Verpackung und im Sicherheitsdatenblatt.
Es gibt erfreulicherweise eine Reihe von Freistellungen, erleichternden Bestimmungen und Sondervorschriften, welche bei richtiger Anwendung, den Transport der vorstehenden beispielhaften genannten Produkte vereinfachen.
Doch beginnen wir am Anfang: Was sind eigentlich gefährliche Güter?
Die Definition von Gefahrgut
Die verschiedenen Vorschriften (internationale Übereinkommen bzw. nationale Gesetzgebung) und Regelwerke definieren Gefahrgut wie folgt:
Internationale Übereinkommen
ADR (Straße)/RID (Schiene)/ADN (Binnenschifffahrt):
Gefährliche Güter: Stoffe und Gegenstände, deren Beförderung gemäß ADR/RID/ADN verboten oder nur unter in diesem Übereinkommen vorgesehenen Bedingungen gestattet ist.
SOLAS/IMDG Code (Seefracht)
Gefährliche Güter bezeichnet die unter den IMDG Code fallenden Stoffe und Gegenstände.
ICAO TI/IATA DGR (Luftfracht)
Gefährliche Güter, Gefahrgut: Gegenstände oder Stoffe, welche in der Lage sind, ein Risiko für Gesundheit, Sicherheit, Sachwerte oder die Umwelt darzustellen und die in der Gefahrgutliste dieser Vorschriften aufgeführt oder die entsprechend dieser Vorschriften klassifiziert sind.
Nationale Gesetzgebung Österreich
GGBG (Österreichische Gefahrgutbeförderungsgesetz):
Gefährliche Güter sind Stoffe und Gegenstände, deren Beförderung mit den in § 1 Abs. 1 genannten Verkehrsträgern (Straße/Schiene/Binnenschifffahrt/Hochseeschifffahrt/Lufttransport) gemäß den in § 2 genannten Vorschriften (ADR/RID/ADN/SOLAS mit Imdg Code/ICAO TI) verboten oder nur unter bestimmten Bedingungen gestattet ist.
(In anderen Länder ist die nationale Gesetzes- und Verordnungsstruktur für den Gefahrguttransport oft umfangreicher als in Österreich vgl. dazu z.B. Deutschland).
Im GGBG werden auf Basis und mit Verweis auf die internationalen Übereinkommen die nationalen Rahmenbedingungen für den Gefahrguttransport festgelegt (z.B. zuständige Behörden, Strafbestimmungen, etc.)
Wie erkenne ich, ob ein Produkt als Gefahrgut einzustufen (zu klassifizieren) ist?
In allen internationalen Regelwerken gibt es mittlerweile eine größtenteils harmonisierte Einteilung, welche Eigenschaften auflistet, welche dazu führen können, dass ein Stoff, Produkt, Gegenstand oder Gerät als Gefahrgut zu sehen ist.
Auf Basis dieser Eigenschaften werden die gefährlichen Güter in folgende Klassen eingeteilt.
Die Klasseneinteilung
Klasse 1 Explosive Stoffe und Gegenstände mit Explosivstoff
Klasse 2 Gase
Klasse 3 Entzündbare flüssige Stoffe
Klasse 4.1 Entzündbare feste Stoffe, selbstzersetzliche Stoffe und desensibilisierte explosive feste Stoffe
Klasse 4.2 Selbstentzündliche Stoffe
Klasse 4.3 Stoffe, die in Berührung mit Wasser entzündbare Gase entwickeln
Klasse 5.1 Entzündend (oxidierend) wirkende Stoffe
Klasse 5.2 Organische Peroxide
Klasse 6.1 Giftige Stoffe
Klasse 6.2 Ansteckungsgefährliche Stoffe
Klasse 7 Radioaktive Stoffe
Klasse 8 Ätzende Stoffe
Klasse 9 Verschiedene gefährliche Stoffe und Gegenstände.
Umweltgefährdend
Eine weitere gefährliche Eigenschaft, welche in allen Klassen auftreten kann, ist die
Umweltgefahr. Wenn ein Stoff keine andere gefährliche Eigenschaft aufweist als umweltgefährdend, so wird er in der Klasse 9 eingestuft.
In den einzelnen Klasse gibt es weitere Unterteilungen auf welche in einem Folge-Artikel eingegangen wird.
Das UN-Nummern-System
Ein weiteres Einteilungs- und Identifikationssystem sind die gefährlichen Güter einem 4-stelligen Nummernsystem zugeordnet, welches von den United Nations herausgegeben wird – die „berühmten“ UN Nummern z.B. UN 1133, UN 3077, UN 1950
Unterschiede bei der Klassifizierung
Beim Transport mit den verschiedenenVerkehrsträgern (Beförderungsmitteln) wird das Risiko im Zusammenhang mit den gefährlichen Eigenschaften unterschiedlich bewertet, daher kommt es bei der Einstufung der Gefahrgüter in den Regelwerken zeitweilig zu unterschiedlichen Ergebnisse.
Ein mit Diesel oder Benzin betriebenes Kraftfahrzeug ist z.B. auf der Straße als „nicht gefährlich“ geführt. In der Seefracht und in der Luftfracht wird es jedoch als Gefahrgut eingestuft.
Eine Reihe von Produkte, die auf Straße/Schiene/Seefracht problemlos transportiert werden können, sind für den Luftfrachttransport verboten.
Infos aus dem Sicherheitsdatenblatt
Die einfachste und gängigste Variante um Festzustellung, ob es sich bei einem Produkt um Gefahrgut handelt, ist der Blick in das Sicherheitsdatenblatt.
Das Sicherheitsdatenblatt ist kein Dokument der Gefahrguttransportvorschriften und muss daher auch standardmäßig nicht bei der Beförderung mitgeführt werden.
In den Gefahrguttransportvorschriften ist jedoch erwähnt, dass wir das Sicherheitsdatenblatt gegengebenenfalls vorlegen müssen, um die Eigenschaften des Produktes nachzuweisen
(in der Seefracht und in der Luftfracht ist dies mittlerweile eine übliche Vorgangsweise).
In einen aktuellen, ordnungsgemäß und vollständig ausgefüllten Sicherheitsdatenblatt sollten wir alle Daten finden, welche zu Einstufung in die Gefahrguttransportvorschriften notwendig sind.
Die tatsächliche Einstufung nach Eigenschaften, Kriterien und ggf. Durchführung von Prüfungen und Test muss unbedingt den Experten überlassen wird.
Auf Basis der Angaben im Sicherheitsdatenblatt kann festgestellt werden, ob es sich um Gefahrgut im Sinne der Gefahrguttransportbestimmungen handelt.
Die erste und wichtigste Information ist das Erstellung- bzw. Überarbeitungsdatum des Sicherheitsdatenblattes.
Habe ich ein Sicherheitsdatenblatt vorliegen, dessen Versionsdatum älter als 6 Monate ist, muss ich die darin enthaltenen Angaben kritisch betrachten.
Ist das Sicherheitsdatenblatt schon einige Jahre alt, empfehle ich eine neuere Version anzufordern, oder das Datenblatt einem „Profi“ zur Begutachtung zu übermitteln, damit dieser feststellen kann, wie die angegebenen Daten aktuell zu verwerten sind.
Abschnitt 14 des Sicherheitsdatenblattes
Die nächste Information des Sicherheitsdatenblattes, die mich beim Gefahrguttransport interessiert, ist der Abschnitt 14.
Im Optimalfall sollten alle für den Gefahrguttransport relevanten Angaben für alle Verkehrsträger im Abschnitt 14 genannt sein.
Doch aufgepasst!
Aufgrund der ständigen Vorschriftenänderungen (nicht nur im Gefahrguttransportrecht), ist es möglich bzw. in einigen Fällen sogar wahrscheinlich, dass der Inhalt des Abschnitt 14 des Sicherheitsdatenblattes nicht 100% für die Abwicklung meines Transportes genutzt werden kann (selbst wenn der Stoff / das Produkt schon lange mit gleicher Rezeptur auf dem Markt ist)
Gefahrgut ja oder nein – 5 Fragen
Der erste Frage – Was soll transportiert werden? – ist mit dem Vorliegen eines aktuellen und richtigen Sicherheitsdatenblattes geklärt – SDB – Abschnitt 14
Die zweite Frage, um festzustellen, ob meinem Produkt als Gefahrgut transportiert werden muss lautet:
Wo und womit (welches/welchen Beförderungsmitteln) soll transportiert werden?
z.B. Will ich „nur auf der Straße“ mit einem „normalen LKW“ befördern oder wird die Sendung in der Folge in ein Flugzeug oder Seeschiff verladen?
Wenn nur ein Beförderungsmittel genutzt wird, muss ich die Einstufung des Produktes nur in dem passenden Regelwerk vornehmen.
Werden mehrere Beförderungsmittel verwendet, muss ich die Einstufung in allen betroffenen Regelwerken berücksichtigen.
Vergleichen Sie dazu die Daten des Abschnitt 14 des SDB zu dem jeweiligen Verkehrsträger.
Die dritte Frage, um festzustellen, ob ich als Gefahrgut unter vollen Gefahrguttransportbestimmungen transportieren muss, ist: Wieviel will ich transportieren?
Es ist ein riesen Unterschied ob ich 5, 50, 500, 5000 oder 20.000 Liter/kg eines Stoffes befördern will.
Erleichterungen nutzen
In allen Regelwerken gibt es für Kleinst- und Kleinmengen erleichternde Bestimmungen sowie eine Reihe von produktspezifischen Sonderbestimmungen, welche für vereinfacht Transportbedingungen sorgen (Erleichternde Bestimmungen und Sondervorschriften können sich bei den einzelnen Verkehrsträgern unterscheiden). Die richtige Nutzung dieser Erleichterungen und Sonderbestimmungen befreit uns von einer Reihe von Auflagen, sodass im besten Fall das Gefahrgut auf den ersten Blick nicht mehr als Gefahrgut zu erkennen ist.
Wenn Sie z.B. 5 L eines umweltgefährdenden Stoffes der UN 3082 auf der Straße befördern, müssen Sie lt. Sondervorschrift 375 nur einen kleinen Teil der allgemeinen Verpackungsvorschriften einhalten. Es ist keine Gefahrgutverpackung notwendig, das Versandstück wird nicht gekennzeichnet und es gibt auch sonst keinerlei Gefahrguttransportbestimmungen.
Trotzdem bleibt der Stoff der UN 3082 weiterhin Gefahrgut und muss unter anderen Voraussetzungen voll deklariert werden wie z.B.
Sie transportieren 200 Liter des gleichen umweltgefährdenden Stoffe der UN 3082 per Luftfracht – in diesem Fall haben Sie „volles Gefahrgutprogramm“.
Bei einigen Sonderregelungen und Erleichterungen ist die Art der Verpackung eine wesentliche Vorgabe – sollte sich das Produkt bereits in einer Verpackung befinden, muss diese ebenfalls angegeben werden: Einzel- oder Zusammengesetzte Verpackung / Gefahrgutverpackung.
In diesem Zusammenhang muss die vierte Frage gestellt werden: Wie verpackt?
(sollte das Produkt zum aktuellen Ermittlungszeitpunkt noch nicht verpackt sein – welche Verpackungen stehen zur Verfügung)
Die fünfte Frage brauchen wir, um festzustellen, ob und welche Gefahrguttransportvorschriften in einem besonderen Zusammenhang einzuhalten sind:
Wer soll transportieren?
Wenn ich als Privatperson Gefahrgüter z.B. der Klasse 3 (entzündbare Flüssigkeiten) in handelsüblicher Einzelhandelsverpackung auf der Straße transportiere, bin ich (mit minimaler Auflage – verschlossene, dichte Verpackung, Ladungssicherung) aus den Gefahrguttransportvorschriften draußen. (In der Luftfracht hingegen gibt es auch für Privatpersonen strenge Auflagen, was, wieviel und wo mitgenommen werden darf).
Wenn ich im Rahmen eines Unternehmens oder einer Organisation ebenfalls Gefahrgüter der Klasse 3 in handelsüblicher Einzelhandelsverpackung transportieren, bin ich grundsätzlich wieder voll im Gefahrguttransportrecht (wobei auch hier z.B. die erleichternden Bestimmungen der Begrenzten Menge zur Anwendung kommen können).
Aus vorstehenden Erläuterungen erkennen wir, dass schon im Vorfeld des
„möglichen“ Gefahrguttransportes eine Reihe von Daten benotigt werden, um festzustellen, ob das Produkt Gefahrgut ist und unter welche Gefahrguttransportbestimmungen oder auch nicht wir transportieren dürfen:
Zusammenfassung Gefahrgut ja/nein
Was? – Klassifizierung des Produktes – ggf. für mehrere Verkehrsträger – volle Angabe der Klassifzierungsdaten: z.B. UN 3082, 9, III (wie sie im Abschnitt 14 des Sicherheitsdatenblattes genannt sind)
(III = Verpackungsgruppe III = eine Untereinteilung in der Klasse 9; auf die Untereinteilungen in den einzelnen Klassen wird noch in einem gesonderten Artikel Bezug genommen)
Wo und womit? – Verkehrsträger/Beförderungsmittel (1 Beförderungsmittel oder Beförderung mit mehreren Verkehrsträgern = multimodaler Transport)
Wieviel? – Menge des zu befördernden Gutes
Wie verpackt? – aktuelle Verpackung / mögliche Verpackung
Wer? – Kontext (Privatperson/Unternehmen/spezielles Personal wie Landwirt, Handwerker etc.)
Wenn die notwendigen Informationen vorliegen, kann anhand des/der Regelwerke die einfachste und passende Transportvariante ermittelt werden.
Unvollständige oder verwirrende Angaben wie:
50 l Klasse 3, 500 kg Gefahrengut, 2 to Autozubehörteile
werden in der Praxis zu Verwirrung, Fehlern, Falschmeldungen, Mängeln, Transportverzögerungen, Beanstandungen, Strafen und/oder Ablehnung der Sendung führen.
Richtige und vollständige Gefahrgut Informationen
z.B.
UN 1263, 3, II – 1 Kanister (3H1) – 50 l/55 kg brutto
UN 1133, 3, III – 1 Kiste aus Pappe beinhaltend 5 x 1 L
UN 3082, 9, III – 1 Faß (1A1) – 200 l/223 kg brutto
Die letzten Gefahrgut Tipps für heute
In der Umgangssprache werden die gefährlichen Güter immer wieder als Gefahrengut betitelt. Diese Bezeichnung finden wir in keinem Regelwerk und keiner Vorschrift (auch in der Vergangenheit nicht). Es kann vorsichtshalber vermutet werden, dass die Verwendung des Ausdruckes Gefahrengut darauf hinweist, dass die Person mit den Inhalten der Gefahrguttransportbestimmungen nicht sehr vertraut ist.
Bei Allgemein-Ausdrücke wie Autozubehör, Campingausrüstung, medizinischer Bedarf, etc. hinter denen sich Gefahrgüter verbergen können, muss immer verifiziert werden, dass keine Gefahrgüter enthalten sind. Im Regelwerk der Luftfracht gibt es hierzu eine Liste der „Versteckten Gefahrgüter“, die auch bei Überprüfung von Sendungen für andere Verkehrsträger dienlich sein kann.
Nun, das war es für heute.
Fortsetzung folgt.
Ich wünsche Ihnen sichere, problemlose, un- und zwischenfallsfreie Gefahrguttransporte.
Liebe Grüße
Ihre Sieglinde Eisterer